Wenn über Kindheit gesprochen wird, übers Jungsein und Jungbleiben, dann lächle ich und meine Freunde nicken mir zu - sie wissen es auch, es ist ein nicht in Frage zu stellender Konsens - ich hatte das, was man gemeinhin glückliche Kindheit nennt. Vielleicht die glücklichste von allen. Voll von Baumhäusern und Comichelden, 90er-Musik, Versteckspielen, Märchen, Geschwisterstreitigkeiten, Maikätzchen, unglaublich viel Sonnenschein und Dummheiten, Geschichten und Spielen. Jeden Tag stand ich auf, gewillt die Welt zu retten, oder zumindest zu verändern - kurz: Der Held meiner eigenen Geschichte zu werden.
Vielleicht weil die Unmittelbarkeit kindlichen Dramas nur schwer ein ganzes Leben lang durchgehalten werden kann, werden Menschen erwachsen, wachsen am Leben entlang, verändern sich. Mir wiederfuhr ähnliches und ich ließ manches hinter mir, weil es nicht in den Rucksack passte, den ich mir fürs Leben schnürte. Eines aber nahm ich mit: Den Willen stets der Held meiner eigenen Geschichte zu sein. Wie das geht, hatte ich gelernt aus Büchern und Gute-Nacht-Geschichten, aus Märchen und Liedern, aus Bibelerzählungen und Comicheften. Ich war gewappnet - was konnte schon passieren?
Tatsächlich kann man mit einem Bündel Heldenpathos beachtlich weit kommen. Ich sah unzählig viele unglaublich schöne Dinge und Menschen, erlebte wunderbares und hakte wie nebenbei das Pflichtprogramm aus Abitur, erstem Sex und Führerschein ab. Es ging voran. Alles war erreichbar, aber alles war auch immer neu, immer spannend, Dinge bewegten sich.
Das hatte alles seine Richtigkeit. So hatte ich es gelernt: Es gibt Handlung, Charaktere entwickeln sich - actionactionaction!
Damit ist es vorbei. Es geht nicht mehr voran. Oder zumindest kann man es nicht sehen. Die Handlung meines persönlich Epos stagniert. Nichts passiert. Ich warte. Muss warten. Räume dem Universum eine Frist ein, es sich noch einmal anders zu überlegen. Ich weiß nur nicht genau, wie das geht. Ich dachte immer, Zeit vergeht von allein, ohne dass man etwas dafür tun müsste. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich rüttle, ich zerre, ich schiebe. Ich schlafe viel und versuche so zumindest das bewusste Warten zu verkürzen. Es ist das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Es ist nicht mein Gebiet, widerspricht es doch sämtlichen auswendig gelernten Heldenmotiven meiner Kindheit. Es ist ein einsamer Kampf, ohne Publikum und ohne Geschichte, weil es nichts zu erzählen gibt von der Leere.
Taube Wochen. Und jeden Morgen frage ich: Wie lange noch? Und weiß: Bis ich nicht mehr frage.
Niemand hat mir beigebracht zu warten. Nicht so. Geduld ist keine Tugend, die durch actionactionaction geschult wird. Die Welt dreht sich. Die Sonne geht auf und die Sonne geht unter. Menschen werden geboren und Menschen sterben. Aber das ist egal. Das ist alles egal. Wichtig ist nur das Ticktack an der Wand. Und wahrscheinlich ist auch das egal. Höchstwahrscheinlich kommt es auch darauf nicht an. Wurde schon je eine Schlacht so gewonnen? Ich wüsste von keiner. Und versuche es doch. Wir werden sehen.
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